Das Zentrum des Universums: „Ich“
Alternativen zu einem narzistischen Führungsverhalten. Marc Wethmar MScBA - MCV Notiz - März 2013
Das Zentrum des Universums:„Ich“ Alternativen zu einem narzistischen Führungsverhalten Marc Wethmar MScBA
Veröffentlicht in MCV Notiz 2013
Das Zentrum des Universums: Ich.
Diesem Slogan begegnete ich kürzlich auf einem riesigen Plakat an einem zentralen Platz in Zürich. Er schockierte mich, weil ich ihn nicht mit meiner eigenen Werthaltung vereinbaren kann. Natürlich, sagt mir die Vernunft, ist in unserer Gesellschaft ein narzistisch-hedonistisches Denken und Verhalten weit verbreitet.
Das Erlebnis wirkte anregend. Ich wollte dem Thema nachgehen und sortieren, wie die Landschaft in den Führungsebenen aktuell aussieht. Was von dieser narzistischen Grundhaltung erkenne ich dort wieder?
- Sitzungen oder Begegnungen, in denen eine Führungskraft die Zeit fast komplett mit „Senden“ ausfüllt. Es besteht kein Raum für Dialog und gemeinsame Reflexion.
- Gehört wird vor allem das, was wiedererkannt wird und der eigenen Meinung entspricht. Die eigene Realität wird als die einzig richtige verstanden und anerkannt. Wirkliches Zuhören findet bestenfalls in den unteren Ebenen von Unternehmen statt.
- Wenn jemand eine gegensätzliche Meinung vertritt oder widerspricht, dann wird viel Energie aufgewendet, um die Person von der eigenen Meinung zu überzeugen. Oder die Aussage wird negiert oder umgangen, weil der Mensch nicht relevant ist.
- Führungskräfte mit der Grundeinstellung und entsprechender Ausstrahlung „Ich weiß wie es geht“ erkennen wir daran, dass sie keine wirklichen Fragen stellen, über das meiste rasch eine ausgeprägte Meinung verkünden und mit Antworten agieren. Das überzeugt oft auf der Zuhörerseite: Da ist jemand, der weiß wie es geht! (Diese Einstellung ist übrigens auch immer wieder bei Beratern anzutreffen).
Wie erfolgreich sind Führungskräfte, die dieses narzistisch geprägte Führungsverhalten zeigen? Es ist nicht abzustreiten, dass genau diese Führungskräfte durchaus erfolgreich sind. Zumindest, wenn man Erfolg an den kurzfristigen Ergebnissen misst, der Schnelligkeit ihres Aufstiegs in der Unternehmung, der Aufmerksamkeit, die sie erhalten und der Höhe ihres Salärs.
Tagtäglich lesen wir aber auch von Beispielen, wo in der Hierarchie hoch angesiedelte Führungskräfte tief fallen, weil sie ihren Einfluss missbraucht haben. Weil sie versuchten, eigene Vorteile zu erzielen, anstatt zum Wohlsein des Ganzen etwas beizutragen. Öfter erlebte ich auch, dass narzistisch geprägte Führungskräfte, die neu in die Organisation kommen, nach 1-2 Jahren nicht mehr tragbar sind in der Unternehmung, weil sie einen Großteil ihrer Mitarbeitenden auf ihrem Weg „verloren“ haben.
Wie sieht denn gelungene Führungsarbeit aus, wenn ich mich als Teil einer Gesamtheit empfinde, statt als dessen Zentrum?
Bevor ich darauf eingehe, ein persönliches Erlebnis:
Auf dem Weg zu einem Familienwochenende in Berlin saß ich in Zürich am Gate und wartete entspannt auf das Zeichen zum Einsteigen. Es kam eine elegant gekleidete Frau vorbei gelaufen, unsere Blicke kreuzten sich kurz. Kurz darauf folgte „boarding“ und auf dem Platz neben mir saß diese Frau. Bald kamen wir ins Gespräch. Im Verlauf des Gespräches merkte ich, wie Vorurteile bei mir aufkamen. Ihr elegantes Aussehen und ihre berufliche Herkunft machten mich skeptisch, und ich öffnete meine inneren „Schubladen“. Ich konnte mein „Urteil“ glücklicherweise aussetzen und genoss eine angeregte und inspirierende Unterhaltung über unsere Leidenschaften in der Arbeit und die Werte, die uns wichtig sind. Wir erkannten viele Gemeinsamkeiten. Die Reise verging wie im Flug. Ich ging in mein Wochenende und bin der Frau bis heute nicht wieder begegnet.
Wenn ich diese Art von Synchronizität, geteilten Werten in Begegnungen erlebe, bin ich erfüllt mit Lebensenergie und glücklicher Zufriedenheit. In diesen Momenten fühle ich mich zutiefst verbunden mit meinem Mensch-Sein. Ich bin nicht allein mit meinen Überzeugungen und Werten, sondern begegne, auch ungeplant und unerwartet, Menschen, mit denen eine Verständigung stattfindet. Über das, was mich und den anderen im Moment beschäftigt. Ohne Planung oder Ziel. Ich bin im richtigen Moment am richtigen Ort mit der richtigen Person zusammen. Ich fühle mich beschwingt, wie im Flow und habe Energie für das, was ansteht.
Meine 3 Kernfragen aus diesen Überlegungen heraus sind: 1. Was bedeutet es für meine Führung eines Teams, wenn ich mich als Teil eines größeren Ganzen empfinde? 2. Was bedeutet dies für die Zusammenarbeit mit meinen Teammitgliedern? 3. Wie findet Zukunftsgestaltung statt, wenn ich diese Grundhaltung beherzige?
Ich skizziere hier den Alltag einer Führungskraft, der von der Grundhaltung geprägt ist: „Ich bin Teil des Ganzen“:
- Sitzungen finden im Dialog statt: Vielfältige Perspektivenwechsel sind ein zentrales Element: Was erleben wir im Moment mit unseren Kunden, Ansprechpartnern, Mitarbeitern? Was sagt uns das über unsere aktuelle Situation? Das Hinhören hat eine hohe Qualität.
- Eigene Vorurteile werden zurückgestellt oder nicht zugelassen. Mit hoher Präsenz und Empathie wird versucht, die unterschiedlichen Perspektiven einzunehmen, sich einzufühlen und gemeinsam, die sich entfaltende Realität zu erforschen. Vorschnelle Urteile haben keinen Platz. Es geht um Achtsamkeit und Effizienz.
- Es ist kein friedlich-harmonisches Zusammensein, wo alle sich nur einig sind. Respektvoll werden die Menschen eingeladen, sich zu ihren unterschiedlichen und auch konträren Perspektiven und Sichtweisen zu äußern.
- Es geht nicht nur um Sachthemen. Nebst den Sachthemen geht es auch um das Beschreiben der Situation im Team. Wie ist jeder und jede gerade unterwegs, was beschäftigt den Einzelnen?
- Regelmässig wird besprochen, wofür wir als Team tätig sein wollen. Wofür stehen wir ganz ein? Wofür setzt sich das Team mit Herzblut ein?
- Gemeinsame Entscheidungsfindung. Welche Entscheidungen stehen jetzt an? Was ist JETZT zu tun? Aber auch: Welche Frühsignale der Zukunft erkennen wir und bieten sich an, um aufgegriffen zu werden? Wie wollen wir JETZT aus der Bewusstheit heraus entscheiden?
Ich habe den Eindruck, dass es radikal andere Rahmenbedingungen benötigt, um diese andere Art von Führung und Zusammenarbeit aktiv aufzubauen und zu gestalten.
1. Schlüsselqualität: Vertrauen * Vertrauen in das Potential jedes Einzelnen. * Vertrauen, dass auch unangenehme, heikle Themen ausgesprochen werden dürfen. * Vertrauen in die unbeschränkten Möglichkeiten, die es zu erkunden und zu ergreifen gilt. * Vertrauen ist der Boden jeder Beziehungsgestaltung in einem Team.
2. Schlüsselqualität: Mut zum Loslassen * Ist die Bereitschaft da, die klassischen Mechanismen der Macht, Hierarchie und Kontrolle aufzugeben und sich einzulassen auf ganz neue, offenere Formen der Zusammenarbeit? * Können Vorurteile, Überzeugungen und gebildete Meinungen ausgesetzt oder zumindest überprüft werden? * Letztendlich geht es um die Grundhaltung, dass meine Realität nicht die einzig Richtige ist sondern sie sich ständig verändert und nur gemeinsam ergriffen werden kann.
3. Schlüsselqualität: Selbstreflexion * Jeder für sich und das Team als Gruppe braucht die Bereitschaft zur Selbstreflexion als Grundlage für gemeinsames Wachsen. * Aus dem Willen des Lernens, dem ernsthaften Interesse am Leben zu reifen und sich ständig weiter zu entwickeln. * Die Führungskraft, aber auch die Teammitglieder gehen ihren persönlichen Entwicklungsweg beharrlich und konsequent an. * Selbstreflexion kann im Alltag sehr effizient gestaltet werden. Wertschätzendes aber durchaus konfrontatives Feedback ist dabei eine wichtige Ressource.
Diese 3 Schlüsselqualitäten der Zusammenarbeit schaffen die Basis, um Heraus- forderungen gemeinsam meistern zu können. Sie geben Energie und Zuversicht und ein Gefühl von echter Gemeinschaft und ermöglichen beschwingtes und wirkungsvolles Arbeiten.
Ich möchte schließen mit einer Aussage von Richard Rohr: „Es gibt mir eine große Freiheit zu wissen, dass ich nicht das Ganze allein sein muss, sondern Teil eines großen zusammenhängenden Ganzen bin.“
Marc Wethmar Netzwerkpartner des Management Center Vorarlberg
Inspirationsquellen: 1. Joseph Jaworski: „Synchronicity – the inner path of Leadership“ (1996, Neuauflage 2011) 2. Joseph Jaworski: “Source – the inner path of knowledge creation“ (2012)Otto Scharmer: “Theory U – Leading from the Future as it emerges“ (2007) 3. Richard Rohr: Vortrag in St. Arbogast (1997)