Was Achtsamkeit im Arbeitsalltag bewirken kann
Erfahrungsbericht Mindfulness bei Haufe-umantis
Im Rahmen seiner Weiterbildung als Trainer für Achtsamkeit in Organisationen beim MIO, bekam Marc Wethmar die Gelegenheit bei Haufe-umantis AG in St. Gallen sein Abschlussprojekt durchzuführen. Einen ganzen Tag gaben er und seine Kollegin Petra Keidel 16 Mitarbeitenden die Gelegenheit, sich mit dem Thema der Achtsamkeit im beruflichen Alltag zu befassen. Auf Grund der positiven Rückmeldungen wurde ein Jahr später der Anlass mit weiteren 14 Mitarbeitenden wiederholt. Mit diesem Erfahrungs-bericht wollen wir einen Einblick geben in unsere Vorgehensweisen und darlegen, wie der Workshop bei den Teilnehmenden ankam.
Warum braucht es Achtsamkeit im beruflichen Alltag? Dr. Jon Kabat Zinn – Prof. Dr. Molekularbiologe, Begründer der Achtsamkeitspraxis, hat Achtsamkeit in Medizin und Gesellschaft bekannt gemacht und seit 40 Jahren erforscht. Achtsamkeitstraining ist säkular und wissenschaftlich fundiert.
Achtsamkeit heisst seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was gerade passiert im Moment, in meinen Gedanken, in meinem Körper und in meiner Umgebung, mit einer Haltung von Neugierde und Freundlichkeit. Dr.Jon Kabat Zinn
Die See in der Organisationswelt ist rauer geworden. Mensch und Organisation spüren die Kräfte der steten Veränderung, es gibt weniger Gewissheiten, die Digitalisierung hat vieles beschleunigt. Wie wir in der rauen See segeln können, ist abhängig von unserer Einstellung und Haltung dazu. Ein gut justierter innerer Kompass hilft uns zu navigieren. Jeder von uns kann Haltungen und Kompetenzen entwickeln, um den Alltag mit diesen „Wetterbedingungen“ erfolgreich zu meistern.
Achtsamkeit ist eine der Schlüsselkompetenzen, die uns hier helfen kann... 1. eine achtsamere Selbstführung zu erlangen im Umgang mit den vielen Impulsen und Ablenkungen unseres Alltags (mehr „deep work“ und weniger „shallow work“) 2. vorsorglich Praktiken zu integrieren, um zu vermeiden, dass unsere Arbeitsergebnisse,trotz zunehmender Anstrengung, qualitativ schlechter werden (Anfangssymptom des Ausbrennens) 3. Wege zu finden, um aus dem Hamsterrad und der Beschleunigungsfalle zu kommen einen achtsameren Umgang mit „schwierigen“ ArbeitskollegInnen & Chefinnen zu entwickeln
Die Rahmenbedingungen des Workshops
Nutzen: Die Teilnehmenden.... * erhalten praktisches Handwerkzeug für mehr Selbstführung, Fokus & Produktivität im Alltag * lernen besser zu kommunizieren mit anspruchsvollen ArbeitskollegInnen und ChefInnen erhalten Grundwissen über die neuro-wissenschaftlich belegten Wirkungsmechanismen vonAchtsamkeit im Alltag
Praktisches * Freiwillige Teilnahme * Die Teilnehmenden müssen sich für den ganzen Tag verpflichten, ohne Unterbrechungen * Klar strukturierter Ablauf mit einem gut abgestimmten Wechsel von achtsamen Bewegungs- und Reflexionsübungen * Unterlagen zu den Inhalten werden digital den Teilnehmenden zur Verfügung gestellt, Handouts werden abgegeben
Der Erfahrungsbericht
Das Projekt fing schon gut an. Wir hatten ein offenes und wertvolles Vorgespräch mit der Person die bei Haufe-umantis AG in St Gallen mitverantwortlich ist für die Personalentwicklung. Sie gab uns viel Einblick in die gegenwärtigen Entwicklungen und hatte selber einen Zugang zum Thema Achtsamkeit. Die Haufe-umantis AG zählt zu den führenden europäischen Anbietern von Talent Management Software. In St Gallen arbeiten ca. 70 Mitarbeitende.
Dann war es soweit; an einem Morgen im Dezember 2019 standen wir beide, erstmalig in dieser Konstellation, vor 16 engagierten Mitarbeitenden, die alle freiwillig gekommen waren um sich mit Achtsamkeit im Arbeitsalltag zu beschäftigen. Unsere Beweglichkeit war gefragt, denn erst am Morgen erfuhren wir, dass das Seminar doch in deutsch statt in englisch durchgeführt wird, da sich englischsprachige Mitarbeitende kurzfristig abgemeldet hatten.
Zunächst haben wir die Rahmenbedingungen besprochen für diesen in-house Workshop, der in den schönen Altbau-Räumlichkeiten der Haufe-umantis AG stattfand. Wir haben zuerst geklärt, was es braucht, um ungestört zu arbeiten, damit ein sicherer Ort geschaffen werden kann, um sich vertrauensvoll auszutauschen und wie wir unsere Rollen sehen. Darauf gab es eine kurze «Teilete» über das, was die Teilnehmenden bewegt hat zu kommen.
Wir begannen mit einer angeleiteten 5-minütigen Achtsamkeitsübung, bei welcher es nur um den Atem ging. Danach wurden in 3er Gruppen die Erfahrungen geteilt, dieser Übung aber auch die bisherigen Erfahrungen mit Achtsamkeitsübungen. Im Anschluss haben wir die Basics von Achtsamkeit vermittelt: die Symptome, an denen man erkennen kann, dass man im Hamsterrad angelangt ist und der Impact der Anstrengungen abnimmt. Zudem haben wir mit Postern die wichtigsten wissenschaftlichen Studien (es gibt mehr als 5’000 Studien zur Wirksamkeit von Achtsamkeit) erläutert, eingeführt mit einem Crash-Kurs in die Gehirnfunktionen und ihre Bedeutung für unser Verhalten im beruflichen Alltag.
Anschliessend gingen wir gemeinsam in die achtsame Bewegung mit mindful walking, eine achtsame Form des Laufens, angelehnt an die Vipassana Tradition, im Anschluss reflektierend, was dies mit uns macht.
Was uns im Alltag davon abhält achtsam zu sein und Was uns dabei unterstützt war unser nächstes Thema, das zunächst in Stille am Flipchart erarbeitet wurde. Diese Session war besonders berührend, denn nun kam die organisationale Realität ins Spiel. Wir waren überrascht, wie rasch die Teilnehmenden den «Safe Space» nutzten um sich darüber auszutauschen, was sie wirklich beschäftigt.
Nach einer längeren Achtsamkeitsübung für Atem und Ton (Geräusche in uns und um uns herum), folgte der silent lunch, d.h. die Hälfte der Lunchpause war im Stillen, ohne Blickkontakt dafür aber mit voller Präsenz beim Essen. Auch dieser silent lunch wurde reflektiert in der Gruppe. Es war für die meisten Teilnehmenden eine gänzlich neue Erfahrung, ohne zu reden in einem Raum zu sein - zudem in den bekannten Arbeitsräumen- und in Stille achtsam zu essen. Viele betrachteten es sogar als eines der Highlights des Tages. Dann machten wir Yogaübungen und einen body scan, eine geführte aufmerksame gedankliche Reise durch den eigenen Körper.
Ein weiterer Aspekt der Achtsamkeit im Alltag, das soziale Miteinander, wurde in der nächsten Übung vertieft. In Kleingruppen wurde vertraulich besprochen mit welchem/welcher KollegIn oder ChefIn man derzeit Mühe hat und warum. Dann folgte eine geführte Achtsamkeitsübung, wo es um diese Person ging, gefolgt durch eine Reflexion der Wirkung in der gleichen Kleingruppe. Im anschliessenden Austausch kamen berührende Erfahrungsberichte und Erkenntnisse zusammen, die aufzeigten welchen Impact die eigene Haltung gegenüber einem Menschen auf die Zusammenarbeit und die Beziehung hat.
Jetzt war der Transfer angesagt, in einem Journaling, einer geführten Tagebuchübung, schrieben die TeilnehmerInnen ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und die davon abgeleiteten Vorhaben für den Alltag auf und teilten diese im Anschluss mit einer Person ihres Vertrauens bei einem Spaziergang. Abgeschlossen haben wir den Tag mit einem sorgfältigen Austausch der Vorhaben jedes einzelnen Teilnehmenden für nach dem Workshop. Da gab es kleine und grosse Vorhaben, allesamt geprägt von einer grossen Entschlossenheit, bestehende Muster zu durchbrechen und/oder neue Verhaltensmuster zu etablieren um fokussierter, mit mehr Präsenz im Berufsalltag zu stehen und mehr im Hier und Jetzt zu sein. Wir waren beide nachhaltig beeindruckt von diesen sehr konkreten Ideen.
Erschöpft, dankbar und sehr erfüllt fuhren wir nach einem langen Tag wieder heimwärts, in der Gewissheit, dass wir etwas Wesentliches haben beitragen können für diese Menschen, als Mitarbeitende aber vor allem für jeden Einzelnen ganz persönlich.
Die Rückmeldungen der Teilnehmenden und das Debriefing mit dem Auftraggeber hat uns gezeigt welche hohe Wirksamkeit der Workshop hatte, nicht zuletzt durch die gute Einbettung des Themas durch die beiden Verantwortlichen für die Personalentwicklung bei Haufe-umantis AG. Zwischenzeitlich gibt es einen Raum für Achtsamkeitsübungen und eine Vielzahl von kleinen und grösseren Angeboten, z.B. Chi Gong, um an dem Thema dran zu bleiben. Wir sind deshalb überzeugt, dass die 2 Workshops Wirkung hatten und die Organisation das Momentum genutzt hat um einen nachhaltigen Wirkung zu unterstützen.
Marc Wethmar und Petra Keidel November 2020