Die 4 Ebenen des Hinhörens
Dort wo Menschen gemeinsam unterwegs sind, ist Hinhören die Basiskompetenz schlechthin, dennoch fehlt sie oftmals.
Marc Wethmar MScBA - November 2016
Dort wo Menschen gemeinsam unterwegs sind, ist das Hinhören eine grundlegende Kompetenz, die wir tagtäglich mehrfach benötigen. Immer wieder erleben wir, wie Führungskräfte das qualitative Hinhören verlernt haben. Sie sind oft mehr damit beschäftigt ihre Sicht auf die Dinge zu vermitteln, oder sogar über zu stülpen, ohne wirklich sich zu beschäftigen (in dem sie hinhören) um was es eigentlich geht. Otto Scharmer hat 4 Ebenen des Hinhörens beschrieben, die hier genauer erklärt werden. Es soll beitragen, dass wir lernen differenzierter hinzuhören, aber auch besser zu beobachten, was passiert wenn nicht, oder sehr selektiv hingehört wird.
Hinhören durch Downloaden Wenn wir routinemässig Hinhören, so hören wir nur dass was wir schon kennen oder wissen, was übereinstimmt mit unseren Urteilen. Alle unsere Erfahrungen, Erlebnisse und Urteile sind abgespeichert auf unserer „Festplatte“ (der Kreis), die wir in diesem Modus „abrufen“. Bei dieser Form des Hinhörens sind wir also ganz im Zentrum unseres Wissens, aber auch unserer Erfahrungen aus der Vergangenheit. Typische Aussagen sind dann: „Ach ja, dass kenne ich auch!“ oder „Ach ja, das habe ich auch schon erlebt“. Oft erzählt der „Hinhörer“ mir dann seine Geschichte. Diese Art von Hinhören geschieht reflexartig, es ist ein routineartiger Vorgang.
Faktisches Hinhören Dieses Hinhören fokussiert sich auf wissenswerte Fakten oder Sichtweisen, die ich noch nicht kenne. Ich bewege mich an den Rand meiner „Festplatte“ und beobachte aufmerksam in das „Feld“. Ich bin ich offen in meinen Fragen, bin neugierig, will mir einen Überblick verschaffen. Ich bin mit meiner Aufmerksamkeit ganz bei der faktischen Aussenwelt (Ich-im-Es) und nicht bei Emotionen und anderen Unwägbarkeiten. Bei Menschen die im technisch- wissenschaftlichen Berufen sind, ist diese Ebene des Hinhörens eine Grundvoraussetzung für Innovation. Der „Verhinderer“ bei dieser Ebene ist dass ich zurückfalle auf meine (aus der Vergangenheit kommenden) Vor-Urteile und nicht das Neue erkunde.
Empathisches Hinhören Faktisches Hinhören und Hinhören durch Downloaden begegnet uns viel im Alltag, für das Empathische Hinhören benötigt es eine besondere Willensanstrengung, denn ich muss dafür aus meinem Referenzrahmen (der Kreis in der Darstellung) heraustreten, mich voll und ganz in die Situation des Gegenübers versetzen. Dies fällt mir besonders schwerer wenn ich diese Person nicht kenne, oder wenn Sie mir fremd ist, als dass Sie mir vertraut ist. Wenn ich erahne was die Person bewegt, bevor sie es in Worte fasst, so weiss ich dass ich im Modus des empathischen Hinhören bin. (Ich-bei-Dir) Empathie unterscheidet sich insofern vom Mitgefühl, dass ich bei der Empathie mit meinem Hinhören ganz bei der anderen Person bin, aber keine Verantwortung übernehme. Der „Verhinderer“ bei dieser Ebene ist der Zynismus. Zynismus hindert uns daran die Befindlichkeit des Anderen ernst zu nehmen und mein Herz zu öffnen für etwas was mein gegenüber beschäftigt.
Generatives Hinhören Diese Form des Hinhörens ist uns weniger bekannt. Hier richtet sich mein Hinhören weniger auf die Befindlichkeit des Gegenüber und auch nicht auf das Vergangene. Meine Aufmerksamkeit ist ganz auf das hier und jetzt fokussiert (Ich-im-Jetzt) und das Potential dass mein Gegenüber. In Anderen Worten, ich richte mein Ohr an das Bestmögliche, zukünftige, was sich im Gegenüber entfalten will. Durch diese Ebene des Hinhörens erschaffe ich ganz neue Möglichkeiten beim Anderen. Dem Gegenüber können zum Beispiel ganz neue Gedanken oder Perspektiven kommen. Diese Art von Gespräche bleiben uns lange in Erinnerung, weil sich durch das Gespräch etwas in uns verändert hat, was wir aber oft noch nicht genau benennen können. Es ist eben im Entstehen, diesem Entstehen gebe ich Hilfestellung durch diese Ebene des Hinhörens. Es erfordert dass ich mich meinen Willen öffne für das Wesen (den Kern) des Gegenüber. * Marc Wethmar MScBA
Quelle: Claus Otto Scharmer, „Theorie U, Von der Zukunft her Führen“ 2009
*Als Illustration der 4en Ebene des Hinhörens: Was die kleine Momo konnte wie keine andere, das war Hinhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich hinhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Hinhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so hinhören, daß dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach hin, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie ihn ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, daß sie in ihm steckten. Sie konnte so hinhören, daß ratlose oder und entschlossene Leute auf einmal ganz genau wußten, was sie wollten. Oder daß Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder daß Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf denen es überhaupt nicht ankommt, und er ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf - und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, daß er sich gründlich irrte, daß es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und daß er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo hinhören! (Quelle: Michael Ende, „Momo“ Stuttgart 1973, Kleine Anpassung: Habe Zuhören ersetzt durch Hinhören)
Marc Wethmar MScBA - November 2016